3. Dezember

3. Dezember

das art of advent Präsent

hier finden Sie weihnachtliche Worte zur Adventszeit von der Autorin Cornelia Gutzeit

 

Das kleine Eselchen

 

Es war einmal ein kleines, fast ausgewachsenes Eselchen nahe Jerusalem. Da es so überaus zerbrechlich und klein für sein jugendliches Alter auf alle Menschen wirkte, traute man ihm keine größeren Lasten auf dem Rücken zu, nur leichte bis mittelschwere Packsäcke und Holz-stangen musste es ab und an auf eine Anhöhe zu einer der Handelshütten schleppen. Aus diesem Grund stand es mehr oder weniger oft auch am Tag im leeren Stall herum, im Gegensatz zu seinen Artgenossen. Die Besitzer der Tiere nannten nur wenige der Esel beim Namen, die meisten nur nach Nummern. Für sie waren ihre Tiere einfach nur nützliche Packesel.

Auch der kleinste Esel hatte noch keinen richtigen Namen erhalten, er war für viele immer nur „das kleine Langohr Nummer Siebzehn“. Traurig sah auch heute das Eselchen aus dem alten Stallfenster hinaus und beobachtete, wie so oft am späten Abend, wenn alle anderen Schlappohren längst vor Übermüdung nach ihrem anstrengenden Tagewerk auf dem frischen Stroh eingeschlafen waren, die Sterne am schwarz glänzenden Firmament. Sein Herz hüpfte jedes Mal vor Freude, wenn es sie am klaren Nachthimmel aufgehen sah, und auch der Mond gesellte sich in Abständen in seinem silbrigen Schein dazu. Bald danach überfiel das Eselchen ein erlösender Schlaf, der ihn zu den hellsten Sternen hinauf träumen ließ.

„Fast alle Sterne haben einen richtigen Namen und wissen wenigstens, warum sie dort droben stehen und für alle in ihrer eigentlichen Form und Größe sichtbar sind“, ...dachte sich der kleine Esel dann immer wieder - und wünschte sich insgeheim so sehr irgendwann auch einen freundlichen Besitzer zu finden, der ihm ebenfalls einen wunderschönen und zugleich stimmigen Namen geben würde. Es sollte ein Mensch sein, der wirklich zu ihm passte und ihm seine wahre Identität und seine Stärken ersichtlich machen konnte - oder ihm zumindest verraten würde, „warum“ er überhaupt so klein geblieben war und „welchen Sinn das alles machte?“ Er schien für alle anderen eher nutzlos zu sein.

Eines Tages begleitete der Jüngste von insgesamt drei Söhnen seinen Vater zu dessen Bekannten in eine entfernter gelegene Ortschaft, wo in jedem Jahr ein größerer Tierbasar abgehalten wurde. Der Alte, zu dem sie wollten, hatte dem Vater einstmals erzählt, dass mindestens eines seiner Jungtiere mit Sicherheit immer verkäuflich sei, denn so wie er züchteten viele Eselbesitzer sie gleichsam nebenbei zum Verkauf. So führte sie ihr Weg direkt in den besagten Stall, der ganz in der Nähe des alten Marktplatzes lag. Es war früh am Morgen und alle Esel standen schon vollzählig in Reih und Glied vor ihnen bereit, ihre eigentlichen Arbeiten zu verrichten. Selbst das kleine Eselchen gehörte wie „scheinbar“ dazu. Denn auch wenn niemand im Stall damit je rechnete, dass das, wenn auch noch sehr junge Grautier, aus allen anderen Huftieren jemals zum Weiterverkauf ausgewählt werden würde, bereitete man es wenigstens für die allernötigsten Arbeitsvorgänge im Kleinen vor. Diese Prozedur erweckte in dem kleinen Langohr immer wieder neue Zuversicht auf Besserung seiner verfahrenen Lage.

Doch je öfter dies geschah, je häufiger „seine Leute“ ihn für jede wichtige Aufgabe übersahen, umso überflüssiger fühlte es sich, und um so weniger glaubte es noch an sich selbst oder gar daran, am rechten Platz in der Welt zu sein. Vielleicht, so ertappte sich das Eselchen in einem seiner Tagträume, war es aber auch nur bald Zeit, dauerhaft zu den Sternen ins ur-sprüngliche Eselsland zurückzukehren? Doch eine stille Hoffnung lebte trotzdem auf wundersame Weise in ihm weiter. Der recht stille Knabe namens Karim sah sich inzwischen in aller Ruhe in dem Stall genauer um, und als er das kleinste der Eselchen plötzlich erblickte, war er sogleich „Feuer und Flamme“ für ihn. Der Kleine stürmte schnur-stracks auf ihn zu, streichelte wie selbstverständlich sein zottiges, aber dennoch sehr schönes graues Fell mit der deutlich dunklen Rü-ckenzeichnung, und hielt ihm eine frische Möhre vor sein gieriges Mäulchen. „Nummer Siebzehn“ war ganz erstaunt und auch etwas unsicher, dass ihn überhaupt jemand in der Menge bemerkt hatte, freute sich aber riesig über die freundliche Geste des kleinen Jungen und fraß die köstlich duftende Möhre sogleich genüsslich und dankbar auf. Ein fröhliches und lang gezogenes „Iiiiiih-Aaaaaa“ war seine prompte Antwort darauf, womit er zugleich verdeutlichen wollte: „Ich würde sehr gern auch sonst dein Freund sein!“

Das Kind verstand das Tier rein intuitiv sofort, und seine Reaktion darauf war eine spontane Umarmung, bei der er ganz liebevoll und sanft beide Arme um den Hals des Eselchens schlug. Karim quietschte vor lauter Freude und rannte ganz aufgeregt zu seinem Vater Joshua zurück, um ihm die unverfälschte Bitte sogleich vorzutragen, nur diesen einen wundervollen Esel für die weitere Reise durch die Wüste, und keinen anderen, mit nach Hause zu nehmen! Der Vater, der das Geschehen voller Rührung von der Seite beobachtet hatte, und seinen Sohn schon sehr lange nicht mehr so ausgelassen und fröhlich strahlen sah, wunderte sich zwar sehr über seine begeisterte Bekundung, erst recht weil Karim ausgerechnet den allerkleinsten Vierbeiner des Stalles dafür ausgesucht hatte, wo dieser doch schon auf den ersten Blick nicht besonders kräftig im Gegensatz zu allen anderen wirkte, doch wollte er dem Wunsche seines Kindes nicht einfach widersprechen. Es war ihm nämlich ebenso wenig entgangen, dass die Augen seines Jüngsten jetzt schon wie die Sterne des ewigen Nachthimmels glücklich aufzuleuch-ten begannen. Er sollte ihn also bekommen! Nach einigem „Hin und Her“ des Aushandelns für einen passenden Preis, nahmen Vater und Sohn ihren neuen Begleiter mit auf den Heimweg. Der vorherige Eselbesitzer war mehr als zufrieden mit dem Tauschhandel, glaubte er doch aus seiner Sicht, dass er den weitaus bes-seren damit gemacht hätte - und gab den beiden Reisenden als großzügige Geste der Verbundenheit sogar noch eine seiner neuesten buntgewebten Satteldecken mit auf den Weg.

Karim aber umarmte seinen Vater überglücklich, der ihn liebevoll mit kaum noch zu verbergenden Tränen in den Augen ebenso warmherzig an sich drückte. Gleich darauf setzte er den fröhlich plappernden Jungen auf den Rücken des kleinen Esels, der die Prozedur bereitwillig mit sich geschehen ließ. Ohne große Hürden marschierten sie so über mehrere Meilen ins tiefer gelegene Wüstenland, bis sie irgendwann zu einer zauberhaften und recht ausladenden Oase kamen, an die ein kleines Dorf angeschlossen war. Herrliche Palmen, Pistazien- und Olivenbäume ließen sich schon aus der Ferne deutlich ausmachen und manch interessante Pflanzensorten säumten drum herum den bunt bewachsenen Weg. Die Sonne brannte zwar auch jetzt unerbittlich heiß vom Himmel herab, doch wie durch ein Wunder wusste sich die Vegetation an diesem paradiesischen Ort bestens durchzusetzen, sodass sich verschiedenste Wüsten- und Nutztiere an ihr gütlich tun konnten und dabei sichtlich wohlfühlten in ihrem Ter-rain. Darüber hinaus sprossen auf diesem Fleckchen Erde ganz in der Nähe die prachtvollsten Kakteenblüten weit und breit, die so gut wie jedes menschliche Auge zum aufrichtigen Erstaunen bringen konnten.

Als die kleine Dreier-Karawane die letzte große Sanddüne auf ihrem Pfad überwunden hatte und immer näher an das Dörfchen herankam, sahen sie als Erstes schon die weißen Kalksteinhütten, fast einer „Fata Morgana“ gleich, im gleißend hellen Sonnenlicht der Mittagshitze vor sich auftauchen, und mit ihnen kurz darauf mehrere wertvolle Kamele, Pferde, Maultiere, Ziegen und Schafe hinter ihren Weidezäunen. Kleine wie größere Kinder liefen ihnen freudigst erregt von Weitem entgegen. Jedes von ihnen wollte am liebsten sofort auf dem niedlichen kleinen Esel reiten dürfen, doch er war natürlich genauso müde und erschöpft wie seine beiden neuen Besitzer, die ihn schon unterwegs ganz tief ins Herz geschlossen hatten. Somit führten sie ihren neuen Schützling gleich nach ihrer Ankunft im eigenen Heim in eine saubere, mit frischen Strohballen aufgehäufte Stallecke, und gönnten ihm all die Ruhe, die ihr sanfter Geselle zur Regeneration benötigte ... Die beiden Menschen waren von Anfang an überhaupt sehr gut zu ihm gewesen, hatten ihn selbst im ödesten Wüstengebiet mit kleinen Pausen, frischem Wasser und etwas Haferschrot ausreichend versorgt, vergaßen ihn niemals liebevoll anzusprechen und zu streicheln, oder, wenn er mal etwas ängstlicher oder zögerlicher beim Hinaufklettern auf einen der steiler werdenden Sandhügel reagierte, war ihr Ton stets freundlicher und geduldiger Art, ohne ihn dabei je rüde anzugehen oder gar mit einer ledernden Knute zu malträtieren. Sie hatten sowieso keine dabei - und wenn, darüber war sich das schlaue Grautier schon jetzt ziemlich sicher, würde diese bei diesen warmherzigen Menschen niemals zum Einsatz kommen.

Das Eselchen hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so wohl, geborgen und geliebt gefühlt! Schon allein deshalb trug es seine Last, den kleinen Jungen, und ein paar Habseligkeiten der beiden, welche es inzwischen nicht mal mehr als solches wirklich empfinden konnte, umso leichter immer weiter die restlichen Dünenpfade entlang. Er fühlte sich als echtes „dienendes Wesen“, das genau am rechten Platz und zur rechten Zeit gebraucht wurde. Allem Anschein nach erging es den beiden Zweibeinern mit dem Eselchen aber auch umgekehrt ganz genauso. Sämtliche Dorfbewohner versammelten sich später, nach Einbruch der Dunkelheit, vor einem großen Lagerfeuer und feierten gemeinsam ein wunderbares Fest. Es war genau der Zeitpunkt, an dem in vielen Ländern dieser Erde „Weihnachten“ in noch anderer Weise zelebriert wurde, doch hier hatte das „Fest der Liebe“ noch eine weitere sehr schöne Liebesbewandtnis hin-zugewonnen, denn: „Liebe heilt!“ Niemand von ihnen hätte je daran zu glauben gewagt, dass der kleine Karim irgendwann einmal wieder ansprechbar auf seinen Vater, seine beiden Brüder oder die Leute im Dorf, reagieren könnte, doch die tiefgreifende Wandlung hatte sich bereits vollzogen ... 

Nach drei Tagen der Wüstenwanderschaft mit seinem Vater zeigte sich Karim auch äußerlich wie ausgewechselt! Das Kind sprach zuvor ja nur noch selten und nahm längst nicht mehr alles um sich herum wie ein ganz gesunder Junge gleichen Alters wahr, sondern wirkte auf alle stark in sich gekehrt und ständig traurig. Dafür gab es allerdings einen sehr triftigen Grund! Vor genau zwei Jahren hatte Karim seine Mutter durch die Folgen eines schlimmen Unfalls im Gebirge von einem Tag auf den an-deren für immer verloren, wodurch seine kleine Seele ein tiefes Trauma erlitt. Seither lebte der Knabe nur noch in seiner eigenen kleinen Welt und hatte das „Mitteilen“ aus sich selbst heraus und das „natürliche und leichte Leben“ vielfach verlernt. Doch von dem Augenblick an, als er das zierliche Eselchen entdeckt hatte, und es ihm allein für immer gehören sollte, konnte sich sein Leben endlich wieder zum Guten wenden. Der Kleine lachte mit einem Mal immer öfter über das ganze Gesichtchen, freute sich seines Daseins, konnte wieder an den Spielen der anderen Kinder teilhaben und die Wunden seiner Seele ausheilen lassen. Worauf er besonders stolz war, war zudem einfach die Tatsache, dass er es ganz allein sein konnte, der seinen Freunden zu erlauben hatte, wann und ob eines der anderen Kinder hin und wieder auf seinem geliebten Grautier reiten durfte - oder auch nicht. Alle respektierten diese Regelung natürlich gern. Das Eselchen war für sie wie ein großes Gottesgeschenk, darüber waren sich alle längst einig, und so sollte es schlussendlich seinen eigenen richtigen Namen erhalten können, dessen symbolischer Sinngehalt der eines „Gottes Geschenkes“ wahrlich verdeutlichen würde, und durch Karim, seinen neuen Herrn, offen im Dorf zu bekunden war.

Somit taufte man ihn offiziell auf den Namen „Happy Peppino“. Denn wirklich, der kleine tapfere „Graue“ hatte ein ganz besonderes Glück in das Oasendörfchen zu dem einst so kranken Kind und dessen Vater und Familie gebracht. Allein dessen Anwesenheit bewirkte das Wunder zum Anstoß der Heilung des Jungen. Somit sollte ab da, statt des Kummers, echte Freude in den neu erworbenen Lebensabschnitt und sein weiteres Wachstum eintreten dürfen. Aber auch sonst liebte jeder im Dorf den struppigen Neuzugang sehr, man hatte ihn einfach gerne um sich - und auch das Eselchen zeigte sich allen Bewohnern gegenüber stets ausgeglichen und „glücklich“. „Happy Peppino“ war nun tatsächlich am Ziel seiner Sternenträume angelangt und begriff endlich auch selbst, warum er von Anfang an so ganz anders als alle anderen Esel ausgestattet war und es alles so kommen musste wie es kam. Eine kleine, sehr hübsche Eselin rundete kurz darauf die innere Zufriedenheit des Eselchens noch mehr ab, sodass Karim in späterer Zukunft eine richtige Eselszucht mit den beiden schönen und immer stattlicher werdenden Tieren ermöglicht wurde.

Der kleine „Happy Peppino“ jedoch diente auf Erden fortan mit seinem ganzen Sein in allen auf ihn zukommenden Aufgaben sowie mit seiner ganzen Herzensliebe, dem allgegenwärtigen Schöpfer des Himmels - seinem guten Freund Karim und allen anderen freundlichen Wesen des Oasendörfchens bis an sein Lebensende - voller Freude, Hingabe und Dankbarkeit ***

 

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